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Was passiert eigentlich, wenn man eine Scheibe Prosciutto di San Daniele in den Mund nimmt? Dann genießt man den Geschmack, und das macht man mit der Zunge, richtig? Falsch, sagt Geruchsforscher Hanns Hatt.

Mit dem Auge sieht und mit der Nase riecht man, ist ja offensichtlich. Aber der Geschmack im Mund, wenn der dünn geschnittene Prosciutto di San Daniele fast auf der Zunge zergeht und die Fülle seiner Aromen offenbart, woher kommt der eigentlich?
Wenn man einmal dieser Frage nachgeht, merkt man schnell: von der Zunge kann das nicht kommen.
Denn die eigentlichen Geschmackssensoren sind eher schwach ausgestattet. Die liefern zum Geschmackserlebnis allenfalls das Gerüst aus süß, sauer, salzig oder bitter und vermelden noch das würzige Umami. Dazu gibt es im Mund noch Rezeptoren, die scharfes und prickelndes anzeigen, Temperatur und Bissfestigkeit messen oder auch die sahnige Textur von Fett erspüren. Aber komplexe Aromen zum Beispiel einer Erdbeere oder auch der weichen Nussigkeit, die ein Prosciutto di San Daniele mit sich bringt, kann man damit nicht erfahren. Wo aber kommen die nun her?
Hanns_HattAus der Nase, sagt Geruchsforscher Hanns Hatt. In seinem Buch „Niemand riecht so gut wie Du“ legt er gemeinsam mit der Journalistin Regine Dee detailliert die unglaubliche Vielfalt und Komplexität der Geruchssensorik dar. Wir wissen heute, dass in unserer Nase 350 verschiedene Geruchssensoren die Luft ständig nach den aromatischen Molekülen durchsuchen, zu denen sie passen. Denn der Geruch funktioniert nach dem Schlüssel/Schloss Prinzip. Jedes Aroma besteht aus einer Kombination von Molekülen. Und für 350 dieser Moleküle haben wir Rezeptoren, die melden, wenn eines von ihnen andockt. Hanns Hatt nennt sie die „Buchstaben unseres Geruchsalphabets“. Die komplexen Aromen unserer Köstlichkeiten sind also wie Worte, Sätze oder ganze Texte, die sich aus diesen Buchstaben zusammensetzen.
Aromen, die sich beim Essen im Mund lösen, werden durch einen Kanal von der Mundhöhle in den Rachen und von dort aus in die Nasenhöhlen gebracht. So erreichen die aromatischen Duftmoleküle zum Beispiel des Prosciutto gewissermassen hintenrum die rund 20 Millionen Sinneszellen, die in unserer Nase auf der Fläche einer Euromünze verteilt den Molekülen auflauern. Das sind also rund 570000 Sinneszellen für jede der 350 verschiedenen Rezeptoren, die wir haben. Und je mehr von ihnen ein Molekül vermelden, desto intensiver erleben wir das Aroma.
Ein Gourmet, unterstreicht Hanns Hatt, wird sich deshalb nie allein auf seine Nase verlassen, sondern nimmt, um den kompletten Dufteindruck zu bekommen, einen Bissen Essen in den Mund. Erst in der Wärme und Feuchtigkeit des Mund- und Rachenraums erschließt sich die Gesamtheit der Dufteindrücke, die wir Geschmack nennen.
Übrigens: die Signale der Geruchszellen werden von den sogenannten Mitralzellen ausgewertet. Sie fügen die Geruchsbuchstaben zu Worten zusammen und melden die dann direkt ins Triebzentrum des Menschen. Kein Wunder also, dass Gerüche viel unmittelbarer auf uns wirken als andere Sinneseinflüsse und dass Genuss so viel Spass macht.

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